Ist „Mein Kampf“ in Deutschland verboten?

By Team GeschichtsCheck, 23. November 2016

Auf einen Blick

  • Die Urheber- und Veröffentlichungsrechte von „Mein Kampf“ gingen nach dem Zweiten Weltkrieg an den Freistaat Bayern über
  • Bayern verhinderte damit bis 2015 Neudrucke des Buches, der Verkauf alter Exemplare war weiter erlaubt
  • Seit 2016 gibt es eine wissenschaftliche Neuauflage, da die Urheberrechte ausgelaufen sind
  • „Mein Kampf“ war in der Bundesrepublik niemals verboten

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CC-BY-NC-ND GeschichtsCheck

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Lesestoff

„Am 1. April 1924 hatte ich auf Grund des Urteilsspruches des Münchner Volksgerichts von diesem Tage an meine Festungshaft zu Landsberg am Lech anzutreten. Damit bot sich mir nach Jahren ununterbrochener Arbeit zum ersten Male die Möglichkeit, an ein Werk heranzugehen, das von vielen gefordert und von mir selbst als zweckmäßig für die Bewegung empfunden wurde.“1

Mit diesem Satz beginnt der erste Band von „Mein Kampf“, dem berühmt-berüchtigten Buch Adolf Hitlers, das dieser fast zehn Jahre vor seiner Machtübernahme in Deutschland verfasste und das viel von seiner Weltsicht offenbarte. Fast jeder deutsche Haushalt dürfte im Dritten Reich ein Exemplar des Buches besessen haben, sei es selbstgekauft oder als Geschenk, etwa zur Hochzeit, für die es speziell gedruckte Festausgaben gab. Nach 1945 verschwanden viele dieser Ausgaben im Kamin, im Müll oder zumindest im Keller. Aber: Verboten im Sinne einer staatlichen Zensur war „Mein Kampf“ nie.

Dass man es in Deutschland dennoch nicht ohne weiteres kaufen konnte und auch kann, liegt daran, dass „seit 1945 eigentlich ein Publikationsverbot“ besteht, wie Andreas Wirsching im Vorwort der Neuauflage feststellt.2 Allerdings betrifft dieses Verbot nur Neudrucke. Nach der Niederlage Deutschlands hatte der Alliierte Kontrollrat, also die Siegermächte, im Oktober 1945 den Eher-Verlag, bei dem „Mein Kampf“ veröffentlicht worden war, als NSDAP-Organisation verboten und ihr Vermögen dem Freistaat Bayern übertragen. Dieses Vermögen schloss Gebäude und Maschinen ebenso ein wie Veröffentlichungsrechte, wie sie jeder Verlag von seinen Autor*innen erhält. Fast genau drei Jahre später wurde das gesamte Vermögen Adolf Hitlers von der Spruchkammer München I an die Bezirksfinanzdirektion München übertragen – das beinhaltete auch die Urheberrechte an „Mein Kampf“, die in Deutschland nicht (z.B. an Verlage) verkauft werden können, sondern unveräußerlich sind. An Neuauflagen wurde nicht gedacht, was sich auch daran erkennen lässt, dass die Druckplatten eingeschmolzen und für die erste Ausgabe der Süddeutschen Zeitung verwendet wurden.3

1965 wurden die Urheberrechte endgültig von der Bezirksfinanzdirektion an den Freistaat Bayern übergeben. Das Bundesland war damit rechtlich allein befugt, über Neudrucke und Veröffentlichungen des Buches zu entscheiden – fast überall. In Großbritannien und den USA hatten findige Verlage schon 1933 die langfristigen Veröffentlichungsrechte für ihre eigenen Länder erworben und konnten deswegen weiterhin englischsprachige Übersetzungen drucken. Doch überall sonst war eigentlich die bayrische Landesregierung zuständig. Sie nutzte diese Möglichkeit dafür, Neudrucke von „Mein Kampf“ flächendeckend zu verhindern – was im Ausland kaum durchzusetzen war, in Deutschland aber gut funktionierte. Man mag das als Zensur empfinden, allerdings bedeutet diese rechtliche Konstruktion nicht, dass „Mein Kampf“ nicht mehr les- oder kaufbar war: Alte Exemplare waren weiterhin in Bibliotheken und Geschäften für gebrauchte Bücher zu erhalten, oft zu äußerst geringen Preisen. Das lag auch an einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Jahr 1979, der unmissverständlich geurteilt hatte, dass sich das Buch nicht gegen die Verfassungs- und Rechtsordnung der Bundesrepublik richten könne, da es älter sei als die Verfassung (mit dem Namen Grundgesetz) des Landes.4

Das Internet änderte die Situation noch einmal grundlegend: Ein Exemplar von „Mein Kampf“ zu lesen war einfacher als je zuvor, ob als Scan einer alten Ausgabe oder komplett abgetippt und im Volltext durchsuchbar. Gleichzeitig führte das offline weiterhin funktionierende Neudruckverbot zu einer gewissen Mystifizierung des Buches, dazu es größer und gefährlicher wirken zu lassen, als es ist. Denn wer sich die Mühe macht, die beiden Bände zu lesen, wird zwar viel über die Weltsicht eines Nationalsozialisten in den 1920er Jahren lernen und schockiert darüber sein, wie offen Hitler schon damals mit seinen politischen Zielen war – aber propagandistische Sprengkraft hat das Buch heute nicht mehr, dafür ist die Sprache zu weit weg von unseren Lesegewohnheiten, dafür ist unser Wissen darüber wohin Hitlers Denkwege führten viel zu präsent.

Doch dem Freistaat Bayern drohte noch eine weitere Entwicklung: Urheberrechte laufen in Deutschland 70 Jahre nach dem Tod aus. Jeweils zum 1. Januar werden zahlreiche Werke, ob Musik, Text oder Bild, gemeinfrei, das heißt jeder und jede darf damit alles machen. Da Hitler am 30. April 1945 starb, wurden all seine schöpferischen Werke, also seine Gemälde wie auch „Mein Kampf“, siebzig Jahre später, zum 1. Januar 2016, gemeinfrei. Somit hat die bayrische Staatsregierung bei der Veröffentlichung kein Mitspracherecht mehr. Deshalb wurde 2009 vom Münchner Institut für Zeitgeschichte mit der Arbeit an einer wissenschaftlichen Edition begonnen, die ab 2012 auch vom Land Bayern mitfinanziert wurde. Ziel der Edition war nicht nur, „Mein Kampf“ nachzudrucken, sondern versehen mit zahlreichen Anmerkungen und Ergänzungen aufzuzeigen, woher Hitler seine Ideen und Gedanken hatte, wo mit der Zeit Passagen geändert wurden, wo er sich widersprach. Kaum ein Jahr nach Beginn der Förderung gab die Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer bekannt, die Förderung einzustellen und jede Veröffentlichung von „Mein Kampf“ wegen Volksverhetzung anzuzeigen.

Dennoch konnte die kommentierte Fassung im Januar 2016 ungehindert erscheinen – eine Anzeige wäre in diesem Fall wohl auch vollkommen aussichtslos, weil es sich um eine wissenschaftliche Veröffentlichung und nicht um den reinen Nachdruck von Propaganda handelt. Andere Verlage von relevanter Größe haben bislang nicht versucht, das Buch in Deutschland neu zu veröffentlichen, lediglich einige einschlägige rechtsextreme Publikationshäuser haben es wieder in ihr Programm aufgenommen.

  1. Christian Hartmann et al (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, München 2016, S. 89. []
  2. Ebenda, S. 9. []
  3. Jörg Zedler: „Spazierenführen bedeutete Tod“. Die Wahrnehmung von Holocaust-Tätern in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Mauthausen-Prozesse, in: Cord Arendes, Edgar Wolfrum, Jörg Zedler (Hrsg.): Terror nach innen. Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkrieges (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte 7), Göttingen 2006, S. 201. []
  4. https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1979-07-25/3-StR-182_79-_S []