Wie sah die Situation der deutschen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg aus?

By Team GeschichtsCheck, 21. November 2016

Auf einen Blick

  • Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es etwa 12 Millionen deutschsprachige Vertriebene und Flüchtlinge
  • Bei der Konferenz von Potsdam wurde die Überführung der nach dem 8. Mai 1945 noch in den ehemaligen deutschen Ostgebieten lebenden Deutschen in die Besatzungszonen beschlossen
  • Durch die Vertriebenen stieg die Anzahl der Bevölkerung in einigen Landesteilen massiv

Im Bild

Sudetendeutsche Stiftung, Vertreibung, Crop, Blur, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 1.0

Sudetendeutsche Stiftung, Vertreibung, Crop, Blur, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 1.0

Lesestoff

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs und danach mussten etwa 12 Millionen deutsche Staatsbürger und deutschsprachige Minderheiten ihre Heimat verlassen. Von ihnen wurden 7,9 Millionen in den drei Westzonen und 4 Millionen in der Ostzone aufgenommen und untergebracht.1 Daneben gab es in den westdeutschen Besatzungszonen außerdem noch 6,5 bis 7 Millionen „Displaced Persons“ (DPs), also „all jene Personen, die infolge des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat durch Kriegseinwirkung und deren Folgen geflohen, vertrieben oder verschleppt worden waren“2, diese waren aber keine deutschen Staatsbürger oder deutschsprachige Minderheiten.

Bereits 1943 wurden mit dem Rückzug der Wehrmacht erste deutsche Zivilisten von der „Ostfront“ evakuiert. Dennoch ließen sich die Nationalsozialisten Zeit, die deutsche Zivilbevölkerung zu evakuieren. Ab August 1944 ergingen immer wieder Räumungsbefehle, die zum Teil kurzfristig aufgehoben wurden, wenn sich die Front doch wieder stabilisiert hatte. Außerdem hatten die Fluchtbewegungen laut dem Sicherheitsdienst der SS „zu erheblichen ‚Stauungen‘ geführt, ‚da keine planvolle Lenkung vorhanden gewesen sei. Weder eine ‚gesundheitliche und veterinärpolizeiliche Überprüfung‘ der Trecks seien vorbereitet gewesen. In Ostpreußen habe nicht nur ‚Mangel an Auffanglagern‘ geherrscht, sondern auch an ‚gegenseitiger Abstimmung der Behörden und Gaue‘.“3 Aufgrund von Abstimmungsproblemen von Staats- und Parteistellen in Ostpreußen darüber, ob die Bevölkerung „durchhalten“ (also bleiben) oder fliehen sollte, verloren viele Menschen ihr Leben, weil die Räumungsbefehle viel zu spät ergingen. Die, die überlebten, flohen mitten im Winter meist zu Fuß oder auf Fuhrwerken über überfüllte Verkehrswege: im Januar 1945 waren über drei Millionen Menschen auf der Flucht und auch diese überlebten viele aufgrund der widrigen Umstände mitten im Winter nicht. Hinzu kam, dass Angehörige der näherrückenden Roten Armee zahlreiche Morde an Zivilisten verübten und Frauen vergewaltigten – Berichte darüber eilten der Front voraus, oft durch die Propaganda verstärkt.4 Zwischen dem Beginn der ersten umfassenden Fluchtbewegungen 1944 und 1947 starben insgesamt 600.000 Menschen bei der Flucht bzw. der Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.5

Nach dem Krieg

Aber nicht alle Deutschen waren zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat geflohen. Im Sommer 1945, also nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, befanden sich nach sowjetischen Angaben zum Beispiel noch 1,6 Millionen Deutsche in Pommern und Schlesien.6 Außerdem versuchten einige Geflüchtete nach Kriegsende wieder in ihre Heimat zurückzukehren: Allerdings begannen polnische Milizen und die Armee bald, Deutschen an den Flüssen Oder und Neiße den Übertritt zu verwehren, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern.7 In der Konferenz von Potsdam trafen sich im Sommer 1945 die drei Alliierten Mächte USA, Großbritannien und die Sowjetunion und berieten über die Zukunft Deutschlands. Dabei kam es auch zu neuen Grenzziehungen: Stalin hatte in den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Grenze bereits polnische bzw. sowjetische Verwaltungen eingerichtet. Die beiden westlichen Konferenzteilnehmer erkannten diese Grenzziehung vorläufig an, endgültig geregelt werden sollte die Frage nach der Oder-Neiße-Grenze aber erst in einem Friedensvertrag.8 Was mit der deutschen Bevölkerung in den mittlerweile polnischen bzw. sowjetischen Gebieten passieren sollte, beschlossen die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz ebenfalls. Die deutsche Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn sollte in die einzelnen Besatzungszonen überführt werden:

Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß. Sie stimmen darin überein, daß jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll. Da der Zustrom einer großen Zahl Deutscher nach Deutschland die Lasten vergrößern würde, die bereits auf den Besatzungsbehörden ruhen, halten sie es für wünschenswert, daß der alliierte Kontrollrat in Deutschland zunächst das Problem unter besonderer Berücksichtigung der Frage einer gerechten Verteilung dieser Deutschen auf die einzelnen Besatzungszonen prüfen soll. Sie beauftragen demgemäß ihre jeweiligen Vertreter beim Kontrollrat, ihren Regierungen so bald wie möglich über den Umfang zu berichten, in dem derartige Personen schon aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland gekommen sind, und eine Schätzung über Zeitpunkt und Ausmaß vorzulegen, zu dem die weiteren Überführungen durchgeführt werden könnten, wobei die gegenwärtige Lage in Deutschland zu berücksichtigen ist. Die tschechoslowakische Regierung, die Polnische Provisorische Regierung und der Alliierte Kontrollrat in Ungarn werden gleichzeitig von obigem in Kenntnis gesetzt und ersucht werden, inzwischen weitere Ausweisung gen der deutschen Bevölkerung einzustellen, bis die betroffenen Regierungen die Berichte ihrer Vertreter an den Kontrollausschuß geprüft haben.9

Lebenssituation nach dem Krieg

Die Vertriebenen und Flüchtlinge wurden in den Westzonen von den Westalliierten überwiegend in ländlichen Gebieten untergebracht, weil es dort weniger zerstörten Wohnraum gab. Dennoch standen die Alliierten vor einem großen Problem: in kurzer Zeit mussten für viele Millionen Menschen Wohnraum und Arbeitsplätze beschafft werden. In Schleswig-Holstein stieg die Bevölkerungszahl nach 1945 um 33 Prozent, im heutigen Mecklenburg-Vorpommern sogar um 44,3 Prozent.10 Dazu kam, dass viele Vertriebene eine andere Glaubenszugehörigkeit hatten als die Menschen der Region, in der sie aufgenommen wurden.11 Zwar fanden viele Vertriebene in den 1950er Jahren bedingt durch das „Wirtschaftswunder“ wieder Arbeit, in Westdeutschland kam es aber auch zu Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung, so zum Beispiel in Schleswig-Holstein:

Der erste Oberpräsident Schleswig-Holsteins nach dem Krieg, Otto Hoevermann, warnte im Oktober 1945, die Kluft zwischen den Flüchtlingen und der eingesessenen Bevölkerung dürfte nicht größer werden. Anlaß zu warnen gab es über die materielle Not hinaus. Es kam zu Reibereien, zu offenem Haß gegenüber den Fremden. Viele wollten nichts mit ihnen zu tun haben, fürchteten, Ostpreußisch und Pommersch würden das Plattdeutsche verdrängen, klagten über Hochzeiten zwischen den Eingesessenen und den Aufgenommenen.12

Zum Teil wurde Wohnraum enteignet um die Vertriebenen darin unterzubringen, andere lebten jahrelang in Baracken und Sammellagern13.
Die DDR erkannte die Oder-Neiße-Grenze bereits 1950 an und schloss damit eine Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre ehemalige Heimat aus. In der DDR wurden die Vertriebenen zu Umsiedlern gemacht:

Um jede Erinnerung an Flucht und Vertreibung zu vermeiden, durfte ein Betroffener sich in der SBZ/DDR schon seit Herbst 1945 nicht mehr als „Flüchtling“ oder „Vertriebener“ bezeichnen, sondern galt offiziell als „Umsiedler“, seit 1950 sogar als „ehemaliger Umsiedler“ – und selbst diese beschönigenden Begriffe waren der SED-Politik bald nicht mehr geheuer und wurden öffentlich ab Mitte der 50er Jahre möglichst vermieden.14

Trotz der schlechten Nachkriegssituation versuchten beide deutsche Staaten die Lebenssituation der Vertriebenen zu verbessern. Sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik gab es Soforthilfemaßnahmen. In der Bundesrepublik wurde zunächst mit dem Soforthilfegesetz, das kurzfristig die Lage dort bessern sollte, wo sie am schlimmsten war, und später mit dem Lastenausgleichsgesetz dafür gesorgt, dass deutsche Staatsangehörige, die durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffen waren, besondere Unterstützung erhielten. Deutsche, die weiterhin über ein beträchtliches Vermögen verfügten, mussten dafür Vermögensabgaben an die Finanzämter bezahlen.15 In der DDR gab es zunächst zinslose Kredite über 1000 Mark für die Vertriebenen, diese wurden jedoch bald wieder eingeschränkt, weil die Erwartungen, die an das „Gesetz über die weitere Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler“ gestellt wurden, nicht erfüllen konnten. Auch fühlten sich viele Vertriebenen in der DDR als „fünfte Kolonne Hitlers“16 stigmatisiert. Viele von ihnen flohen bis 1961 weiter in die Bundesrepublik. Unter den „Republikflüchtlingen“ zwischen 1952 und 1961 waren die Vertriebenen mit fast einer Million Flüchtlingen überrepräsentiert. Teilweise sollte es Jahrzehnte dauern, bis die Vertriebenen wirklich in ihrer neuen Heimat angekommen waren.

  1. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Fl%C3%BCchtlinge_und_Vertriebene []
  2. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Displaced_Persons_(DPs) []
  3. Michael Schwartz: Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, S. 534 []
  4. Ebd., S. 535ff. []
  5. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/flucht-der-deutschen-194445.html []
  6. Ebd., S. 539 []
  7. http://library.fes.de/library/netzquelle/zwangsmigration/33vertrpl.html []
  8. https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/befreiung-und-besatzung/potsdamer-konferenz.html []
  9. http://www.documentarchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html []
  10. https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/alltag/flucht-und-vertreibung.html []
  11. Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001, S. 195f. []
  12. http://www.geschichte-s-h.de/fluechtlinge/ []
  13. http://www.geschichte-s-h.de/fluechtlinge/ u. http://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/vertriebenenlager.pdf []
  14. http://www.fes.de/magdeburg/pdf/6_10_14_schwartz.pdf []
  15. http://www.badv.bund.de/DE/BAA/HistorieLastenausgleich/Gesetzgebung/start.html []
  16. http://library.fes.de/library/netzquelle/zwangsmigration/45ddr.html []