Was ist eigentlich Links und was Rechts?

By Team GeschichtsCheck, 9. November 2016

Auf einen Blick

  • Die Bezeichnungen „Links“ und „Rechts“ gehen auf die französische Nationalversammlung zurück
  • Sie sind die einfachste Art der politischen Selbst- und Fremdverortung
  • Es gibt linke und rechte Wertekataloge, die aber in der Praxis oft an ihre Grenzen stoßen
  • Der Nationalsozialismus war keine linke Ideologie

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CC-BY-NC-ND GeschichtsCheck

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Lesestoff

Uns Menschen liegt immer daran, unsere komplizierte Umwelt zu vereinfachen, in Muster zu setzen, damit wir schneller Entscheidungen treffen können, leichter Anschluss zu Gruppen finden oder einfach generell den Überblick behalten. So ist es auch bei der politischen Landschaft: Es gibt unzählige Versuche, politische Überzeugungen in Schemata zu pressen, aber keine ist so prägnant und leicht wie „Links ⇐⇒ Rechts“.

Diese Aufteilung in zwei Seiten wird für gewöhnlich auf die französische Nationalversammlung von 1789 zurückgeführt. Damals gruppierten sich die Abgeordneten nicht mehr nach ihrer geborenen Stellung in der Gesellschaft, sondern danach, ob sie zu den revolutionären oder den monarchenfreundlichen Strömungen gezählt wurden – die einen in der linken, die anderen in der rechten Seite des Saales. Dies half nicht nur bei der Zählung der Stimmen, sondern hatte auch mit dem Chaos dieser Zeit zu tun, als Redner oft kaum beachtet wurden und im Lärm untergingen – um gehört zu werden, umgab man sich daher mit Gleichgesinnten.1 Mit der Zeit schliffen sich „la côté droite“ und „la côté gauche“ (die rechte/linke Seite) zu „la droite“ und „la gauche“ (die Rechte/Linke) ab, das Schema wurde gleichzeitig als so praktisch angesehen, dass es sich international verbreitete und bis heute gebräuchlich ist.

„Links“ und „Rechts“ sind nun also schon weit über 200 Jahre alt, aber auf eine alles umspannende Definition hat man sich bislang nicht einigen können. Sicher, politische Parteien lassen sich meistens (bereitwillig) in das Schema einordnen oder tragen ihre Selbstverortung, wie im Fall der Partei „Die Linke“, schon im Namen. Aber sobald man ins Detail blickt, auf einzelne Programme oder gar individuelle persönliche Überzeugungen, wird es oft schwer – erst recht, wenn man unterschiedliche Perspektiven einnimmt – so dürften viele Anhänger der Partei „Die Linke“ die SPD nicht als links wahrnehmen, wohingegen für Anhänger der AfD das Gegenteil zuträfe.

Die 2010 verstorbene Elisabeth Noelle-Neumann, Gründerin des Allensbach-Institutes für Demoskopie und Professorin für Kommunikationswissenschaft, hat ein Modell zu linken und rechten Werten entwickelt, das zwar auch wieder einigermaßen grob ist, aber zumindest größtenteils wichtige Anhaltspunkte bietet:2

Linke Werte Rechte Werte
Gleichheit Differenzierung (individuell, sozial, national)
antiautoritär Autorität, Hierarchie
Nähe, Wärme, Formlosigkeit Distanz, Umgangsformen
Spontaneität Disziplin
Freiheit von Not; Sicherheit und Geborgenheit Freiheit vor staatlichem Zugriff, Risikobereitschaft, Eigeninitiative
Ökonomische Planung, öffentliche Kontrolle Schutz von Privateigentum, Wettbewerb
Gesellschaft prägt Individuen Individuen sind eigenverantwortlich
International National

An dieser Tabelle findet sicher fast jeder etwas auszusetzen – so mag manchem auf den ersten Blick die linke Spalte etwas zu „sympathisch“ erscheinen, was mit Blick auf die einst nationalsozialistische, später streng konservative Urheberin aber eher unbegründet sein dürfte. Das Schema eignet sich jedenfalls nicht, um es als strikten Maßstab an Personen und Parteiprogramme anzulegen, es ist bestenfalls ein unbestimmter Indikator.

Das wird besonders deutlich, wenn wir verschiedene politische Systeme und Staaten in der Moderne betrachten: Die Sowjetunion wird als sozialistisches System gemeinhin als links klassifiziert, war aber sicher nicht als antiautoritär zu bezeichnen. Der US-amerikanische Konservativismus hingegen war wirtschaftlich im 20. Jahrhundert eindeutig rechts, beansprucht dafür aber auch staatlichen Zugriff auf die individuelle Lebensführung.

Diese Betrachtungen führen uns zu einer auch in unserem Fragen-Formular schon häufig gestellten Frage: Waren die Nazis rechts oder links? Für gewöhnlich gruppiert man den Nationalsozialismus zur Rechten, doch insbesondere konservative Figuren wie Arnulf Baring, Hans-Olaf Henkel und Erika Steinbach haben ihn, mit Verweis auf den Wortteil „-sozialismus“ als linke Diktatur bezeichnet. Tatsächlich finden sich in den Anfängen der NSDAP durchaus linke, sozialistische Positionen, die allerdings spätestens 1928 unter der Führung Adolf Hitlers immer stärker abgebaut wurden. Und der Beleg der Selbstbezeichnung als „sozialistisch“ taugt ja auch ähnlich viel wie man das Argument stehen lassen könnte, die Deutsche Demokratische Republik sei demokratisch gewesen. Genau so wenig überzeugend ist die mutmaßliche (belastbare Daten existieren zu der Zeit nicht) Wanderung von Wählerstimmen zwischen der kommunistischen KPD und der NSDAP vor 1933 – solche Wechsel kennen wir auch heute noch zwischen der Linken und der AfD, insbesondere in Ostdeutschland, wo die Wahlmotivation weniger inhaltlich zu vermuten ist als bei der generellen Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Generell kann man davon ausgehen, dass die Anfänge der NSDAP in der beginnenden Weimarer Republik von einer großen Unsicherheit über die politische Selbstverortung geprägt waren – wie sonst ließe sich erklären, dass Hitler wahrscheinlich 1919 in einem Trauerzug für den von Rechtsradikalen ermordeten jüdischen Politiker Kurt Eisner mitlief?

Tatsächlich war an der Politik der NSDAP, als sie einmal an der Macht war, nichts mehr links. Sie war nicht antiautoritär, sie verabschiedete sich von allen Grundsätzen der Gleichheit, sie stellte Disziplin über jede spontane menschliche Regung und war selbstverständlich streng national. Wirtschaftspolitisch hingegen entzieht sich der Nationalsozialismus unseren heutigen Kriterien komplett. Von einer Herrschaft der Arbeiterschaft kann in keinem Fall die Rede sein, dafür haben zu viele Industriebesitzer im Dritten Reich ihr Vermögen gemehrt oder erst geschaffen – außerdem wurden bereits 1933 alle Gewerkschaften zerschlagen und das Streikrecht abgeschafft.3 Allerdings war die Wirtschaft auch nicht frei, von einer liberalen Ökonomie weit entfernt. Mit den Zielen Autarkie, also der Unabhängigkeit von ausländischen Waren, und Wiederaufrüstung wurde unmittelbar in die Produktionsprozesse eingegriffen – was sich die Industrie aber gefallen ließ, weil diese Aufträge lukrativ waren und hohe Renditen versprachen. Eine Verstaatlichung der deutschen Industrie, wie vor 1933 von der NSDAP gefordert, wurde nie ernsthaft erwogen.

Wie wir sehen, sind die Definitionen, wenn man tief in die Materie einsteigt, schwammig – und dennoch sagten zumindest noch in den 1990er Jahren 90% der Deutschen, dass sie sich problemlos in dieses Schema einstufen könnten.4 Daher gilt: auch wenn es im Bundestag gesitteter zugeht als im Frankreich von 1789, das Links-Rechts-Schema wird uns so schnell nicht verlassen.

  1. Uwe Backes: Politische Extreme. Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen 2006, S. 101. []
  2. zitiert nach Wolfgang Kowalsky: Projekt Europa. Die Zukunft der europäischen Integration, Opladen 1997, S. 88-89. []
  3. Jürgen Schmidt: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Frankfurt 2015, S. 186. []
  4. Wolfgang Kowalsky: Projekt Europa. Die Zukunft der europäischen Integration, Opladen 1997, S. 88. []