Mischt sich der Zentralrat der Juden in Dinge ein, die ihn nichts angehen?

By Team GeschichtsCheck, 3. November 2016

Auf einen Blick:

  • Der Zentralrat wurde gegründet, um die Belange der Juden in Deutschland nach 1945 zu vertreten
  • In der Bundesrepublik wurde er zu einem Indikator des Zustandes der Demokratie gemacht
  • Der Zentralrat ist eine politische Vertretung für Juden in Deutschland, keine Vertretung Israels
  • Der Zentralrat der Juden hat also politisch nicht weniger Mitspracherecht als alle anderen Bürger*innen

Im Bild:

De-okin, Leo-baeck-haus.berlin.II, Crop, Blur, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 3.0

De-okin, Leo-baeck-haus.berlin.II, Crop, Blur, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 3.0

Lesestoff:

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist unter den Vertretungen von Minderheiten in Deutschland wohl die mit der größten Medienpräsenz. Seine Präsident*innen von Ignatz Bubis über Charlotte Knobloch bis zum amtierenden Josef Schuster werden immer wieder mit Statements zitiert oder ausgiebig für Tages- und Wochenpresse interviewt.

Das war nicht immer so, was – erst einmal banal – daran liegt, dass es den Zentralrat erst seit 1950 gibt. Vor der nationalsozialistischen Diktatur gab es keinen Verband, der für sich in Anspruch nahm, die Gesamtheit der auf deutschem Boden lebenden jüdischen Menschen zu vertreten – zuvor gab es beispielsweise den „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, der sich weniger religiös orientierte, und den Deutsch-Israelitischen Gemeindebund, der als Dachverband der jüdischen Gemeinden fungierte. Der Zentralrat der Juden hingegen wurde zunächst einmal aus zwei Hauptmotiven heraus gegründet:

  1. um als klar definierter Ansprechpartner der Bundesregierung auf die Gesetzgebung zur Entschädigung von Juden einzuwirken – dies auch auf ausdrückliches Bitten Konrad Adenauers hin, und1
  2. um die Auswanderung der noch in Deutschland befindlichen, aber ausreisewilligen Juden zu organisieren – hauptsächlich in die USA und ins neugegründete Israel.2

Dies spiegelt sich auch in der Benennung wieder: Es handelt sich nicht um den Zentralrat der deutschen Juden, sondern um den der Juden in Deutschland.

Während der zweite Punkt schnell in den Hintergrund rückte (was zu scharfen Konflikten mit internationalen jüdischen Organisationen führte, die sich nicht vorstellen konnten, dass Juden in Deutschland bleiben wollten), war man im Zentralrat für die nächsten Jahre stark mit der Mitarbeit an Juden betreffenden Gesetzen befasst. Doch allmählich wandte man sich auch anderen Themen zu und scheute dabei nicht die Öffentlichkeit: Dass Hans Globke als NS-Richter nun wieder im Kanzleramt arbeiten durfte, führte zu einer der ersten größeren Pressemitteilungen des Zentralrats.3 Gleichzeitig wurde man sich im Laufe der 1950er Jahre darüber klar, dass die Bundesrepublik und Adenauer mit ihren Zugeständnissen nicht nur moralisch begründete Motive verfolgten, wie Generalsekretär van Dam schon 1951 intern vermeldete:

„Es soll indessen nicht verkannt werden, daß gerade die Tatsache des Bestehens einer, wenn auch noch so kleinen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, ein gewisses Alibi für die deutsche Demokratie darstellt.“4

Und so wurde aus dem Zentralrat mit der Zeit nicht nur eine Vertretung jüdischer Menschen, sondern für die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft eine Art Messinstrument für den Zustand der Vergangenheitsbewältigung und demokratischen Kultur der Bundesrepublik. Das totalitäre Wesen des Dritten Reiches brachte es mit sich, dass so gut wie alle Angelegenheiten, die mit der Differenz zwischen Nationalsozialismus und Bundesrepublik zu tun hatten, auch jüdische Angelegenheiten waren. Dieser Kontakt zur Öffentlichkeit war allerdings intern nicht unumstritten und wurde durchaus auch abgeblockt – 1959 wurde man gebeten, öffentlich Stellung zum Antisemitismus in der DDR zu nehmen, was entschieden abgeblockt wurde, um den „in Deutschland erforderlichen Weg der unerbitterlichen Sachlichkeit zu gehen und sich nicht als Instrument […] einer Propaganda mißbrauchen zu lassen.“5

Dass der Zentralrat der Juden in Deutschland anfangs noch etwas zögerlich, später aber deutlich artikulierter in der Öffentlichkeit auftrat, lag auch an seinem Personal: Am Anfang war gerade mal genug Geld da, um den Generalsekretär Hendrik George van Dam mit einem Büro für Verwaltungstätigkeiten auszustatten, zudem war der Ratsvorsitzende Heinz Galinski mit dem Vorsitz der Jüdischen Gemeinde Berlins ausgelastet. Nachdem sich eine langfristigere Perspektive für das Wirken in Deutschland abzeichnete, konnte man sich auch stärker der Tätigkeit und dem Alleinvertretungsanspruch für die Juden in Deutschland widmen. Es ist kein Zufall, dass viele Menschen in Deutschland den Zentralrat immer noch mit den beiden Vorsitzenden Heinz Galinski und Ignatz Bubis verbinden, die nacheinander von 1988 bis 1999 an der Spitze standen und sich auch wortgewaltig in öffentliche Debatten einmischten. Dies taten sie allerdings, und da unterscheiden sie sich nicht von ihren Nachfolger*innen Paul Spiegel, Charlotte Knobloch, Dieter Graumann und Josef Schuster, in einer Doppelrolle: einmal als Vertreter des Judentums in Deutschland, ganz gleich ob Einwanderer oder hier geboren, ob Angehörige von Opfern des Holocaust oder nicht, und andererseits eben als Deutsche, die selbst für sich entschieden haben, in diesem Land zu bleiben und eine Existenz aufzubauen, obwohl sie durchaus andere Möglichkeiten gehabt hätten, beispielsweise nach Israel zu gehen. Denn der Zentralrat der Juden ist eben keine Botschaft des Staates Israel, sondern eine Vertretung von deutschen Bürger*innen, die zudem Juden sind.

  1. Andrea Sinn: Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2014, S. 140. []
  2. Yeshayahu Jelinek: Deutschland und Israel 1945–1965. Ein neurotisches Verhältnis, München 2004, S. 133. []
  3. Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer: Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik, Berlin 2009, S. 181. []
  4. Jürgen Zieher: Weder Privilegierung noch Diskriminierung. Die Politik des Zentralrats der Juden in Deutschland von 1950 bis 1960, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 13 2004, S. 200. []
  5. Ebenda, S. 201. []