War die Kriminalität in der DDR geringer als in der BRD?

By Team GeschichtsCheck, 10. Oktober 2016

Auf einen Blick

  • Die DDR-Regierung wollte die Kriminalität bewusst niedrig darstellen; deswegen schönte sie die Kriminalitätsstatistik
  • DDR-Bürger*innen sollten damit gegenüber der BRD als fortschrittlich dargestellt werden, denn im Sozialismus sollte es keine Kriminalität mehr geben. Das war das Ziel, das nach außen dargestellt wurde
  • Die Kriminalität war in der DDR nicht viel niedriger als in der Bundesrepublik

Im Bild

ddr

Istvan [3], Palast der Republik DDR 1977, Blur, Crop, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 3.0

Lesestoff

Der „Gradmesser“ für Kriminalität in einem Land ist die sogenannte Kriminalstatistik. Sie gibt Auskunft über die Menge und über die Art der Kriminaldelikte. Auch in der DDR gab es eine solche Statistik, die Auskunft über die Kriminalität geben sollte.

An dieser Statistik war auffällig, dass die Kriminalitätsrate, also die Zahl der Delikte im Verhältnis zu der Zahl der DDR-Bürger*innen, sehr gering war.1 Daher entstand der Mythos, dass es in der DDR auch sehr viel weniger Kriminalität als in der Bundesrepublik gegeben habe.

Das ist allerdings nicht richtig: Die Kriminalstatistik wurde in der DDR aus politischen Gründen geschönt.2 In der DDR vertrat man seitens der Regierung die Auffassung, dass der Sozialismus, also die Ideologie, die die DDR-Regierung als richtig ansah, weniger Kriminelle hervorbringe als der konkurrierende Kapitalismus. Dies wollte man durch die Statistik nachweisen.

Schaut man sich die Kriminalstatistiken aus den verschiedenen Jahren jedoch im Detail an, so sind höchst fragwürdige statistische Auffälligkeiten zu bemerken, die bei anderen Statistiken auf Manipulationen hingewiesen haben.

Viel erheblicher ist aber ein anderer Trick, der angewendet wurde: Ab dem 1. Juli 1968 und dem Inkrafttreten des neuen DDR-Strafgesetzbuches (nStGb) wurden bestimmte Delikte nicht mehr als Straftat gezählt. So wurden Bagatelldiebstähle, Beleidigung oder Hausfriedensbruch, also Straftaten, die in der Bundesrepublik in die Kriminalstatistik eingehen, nicht mehr als Straftaten sondern als „Verfehlungen“ gezählt. Damit waren sie in der DDR nicht mehr Teil der Statistik.3

Darüber hinaus wurden nicht alle Straftaten in der Kriminalstatistik gezählt: Der „ungesetzliche Grenzübertritt“, also die Flucht aus der DDR, die dort ja strafbar war, wurde nicht in die Statistik gezählt. So entstanden deutlich niedrigere Zahlen, als man erwarten würde.

Die am häufigsten vertretenen Delikte waren Diebstahl, Verkehrsdelikte, „Rowdytum“ und Körperverletzungen. Es gibt auch weitere Faktoren, die bei bestimmten Delikten niedrigere Fallzahlen bedingten. So gab es insgesamt weniger Diebstahlsdelikte in der DDR, was jedoch maßgeblich auf ein geringeres Warenangebot in den Geschäften zurückzuführen ist.

In der DDR war die Kriminalität vermutlich vergleichbar hoch wie in der Bundesrepublik. Aus der Perspektive von Historiker*innen ist das nicht verwunderlich, denn in allen uns bekannten Kulturen gab und gibt es Kriminalität. Allerdings wirkt das Bild, das die DDR-Regierung bewusst von ihrem Land entwarf und das nie der Wahrheit entsprach, bis heute nach.

  1. Vgl. Jürgen Sensch: Die Kriminalitätsentwicklung in der ehemaligen DDR anhand ausgewählter Daten der amtlichen DDR-Kriminalstatistik. GESIS Datenarchiv, Köln 2007. ZA8268 Datenfile Version 1.0.0, doi:10.4232/1.8268 []
  2. Vgl. Horst Hildebrand: Kriminalität, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.): DDR-Handbuch, Köln 1985, Bd. 1, S. 757-761, hier S. 757ff. []
  3. Horst Hildebrand: Kriminalität, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.): DDR-Handbuch, Köln 1985, Bd. 1, S. 757-761, hier S. 758. []