Was meint die Bezeichnung „rassistisch“?

By Team GeschichtsCheck, 31. Oktober 2016

Auf einen Blick:

  • Die Idee, Menschen bestimmten Gruppen zuzuordnen, gibt es schon sehr lange
  • Rassismus grenzt Menschen aufgrund von äußerlichen und kulturellen Unterschieden aus
  • Rassistisches Handeln ist geprägt von einem Überlegenheitsgefühl, Vorurteilen, Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen1
  • Die Evolutionsgenetik hat die Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts widerlegt

Im Bild:

CC-BY-NC-ND GeschichtsCheck

CC-BY-NC-ND GeschichtsCheck

Lesestoff:

Ist es vertretbar, Äußerungen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ oder kritische Haltungen gegenüber Flüchtlingen als rassistisch zu bezeichnen? Der Begriff „Rassismus“ steht für die Verbindung einer prinzipiell abschätzenden Haltung gegenüber Menschen einer bestimmten „Rasse“ mit einer daraus abgeleiteten politischen oder sozialen Abgrenzung dieser„Rasse“ zum Schutz der eigenen Identität.2 Dabei wurde der Begriff „Rasse“ im Lauf der Geschichte immer wieder verschieden verstanden.

Heute verbinden wir ihn meist mit der Nutzung durch die Nationalsozialisten in den 1930er und 1940er Jahren. Bei ihnen wurde „Rasse“ (oft gleichgesetzt mit „Volk“) vor allem biologisch verstanden und die Menschheit in verschiedene, „von Natur aus“ unterschiedliche Gruppen gegliedert, denen man bestimmte körperliche, charakterliche und kulturelle Eigenschaften zuschrieb. Dabei galten manche Gruppen als höherwertiger als andere. An der Spitze der konstruierten Rangordnung standen die „Arier“ – ein Begriff, der ursprünglich in der Sprachwissenschaft und der Völkerkunde genutzt wurde, für die Nationalsozialisten aber für eine angeblich „nordische bzw. deutsche Rasse“ stand.3 Diese wurden den Semiten gegenübergestellt, die man weitgehend mit den Juden gleichsetzte. Nach diesem Verständnis galt eine Vermischung beider als Gefahr für das Fortbestehen der „Arier“, mit deren Bedrohung man die Unterdrückung und Vernichtung der Juden rechtfertigte.4

Vorurteile gibt es schon lange

Die Auffassung, man könne die Menschen in eine Systematik bringen und ihnen bestimmte Kriterien zuordnen, gab es aber schon lange vor dem ‚Dritten Reich‘. Es ist quasi eine Grundkonstante des Mensch-Seins, durch Einordnung und Abgrenzung die eigene Identität und das Verhältnis zu anderen besser zu verstehen. Historisch kann man solche Denkmuster schon für die Perserkriege um 500 v. Chr. nachweisen. Damals trafen mit dem riesigen Reich der Perser, das vom Mittelmeer bis nach Zentralasien reichte, und den griechischen Stadtstaaten zwei ungleiche Gegner aufeinander. Dass letztere den Krieg trotzdem gewinnen konnten, deuteten vor allem die Athener als Überlegenheit ihrer Kultur und ihrer demokratischen Staatsform gegenüber dem „despotischen“ persischen Königreich. Diese Auffassung verfestigte sich zu einem als natürlich verstandenen Gegensatz zwischen Griechen (und später Römern) und „Barbaren“. Er wurde sowohl kulturell als auch biologisch erklärt und diente den Römern als Rechtfertigung, die umliegenden Völker zu erobern und zu zivilisieren.5

Wiederentdeckte Schriften, neue „Überlegenheiten“ und der Sozialdarwinismus

Verschiedene Ereignisse der Frühen Neuzeit – das Wiederentdecken der antiken Schriften, die europäische Entdeckung Amerikas, die „Reconquista“ Spaniens von den Muslimen und die Eroberung weiter Teile Afrikas und Asiens durch die Europäer – sorgten dafür, dass rassische Vorstellungen wieder auf fruchtbaren Boden trafen.6 Doch im Gegensatz zu Römern und Griechen sah man die Fremden nicht mehr als unterlegen, sondern als Bedrohung für die eigene Existenz. Zudem bekam der Begriff „Rasse“ durch die Kombination mit dem darwinistischen Prinzip des Stärkeren nun den Aspekt des Kampfes der Rassen ums Überleben.7

Nach dem Ende des ‚Dritten Reiches‘ – mit der Aufarbeitung des Völkermords an den Juden und dem Fortschritt der wissenschaftlichen Genetik – verlor die biologische Komponente des Wortes „Rasse“ weitgehend an Bedeutung. So konnte die Evolutionsgenetik nachweisen, dass sich der moderne Mensch und der Schimpanse, sein nächster Verwandter, genetisch um gerade einmal ca. 1,3% unterscheiden und dass alle heutigen Menschen zu ca. 99,9% die gleichen Gene haben. Dabei machen die scheinbar deutlichsten Unterschiede, nämlich Größe, Haut- und Haarfarbe, nur ca. 50 von 25.000 Genen aus.8 Aspekte wie ethnische Zugehörigkeit oder Abstammungslinien, die in den Rassentheorien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielten, verloren mit diesen Erkenntnissen an Bedeutung.9

Und heute?

Stattdessen traten die kulturellen Aspekte in den Vordergrund, die nun dazu dienten, Menschen aus bestimmten Staaten oder etwa Religionsgruppen zu beschreiben. Auch solche Kategorisierungen – die zum Beispiel den Islam trotz seiner verschiedenen Ausprägungen mit Frauenfeindlichkeit gleichsetzen – sind aber Vereinfachungen, die helfen sollen, die eigene kulturelle Identität in Relation zu setzen und einzuordnen, und damit ebenfalls rassistisch. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, die eigenen Traditionen und Werte als richtig anzusehen, es wird aber rassistisch, wenn jegliche Abweichung davon als minderwertig und als Bedrohung angesehen wird, aus der man politische oder soziale Konsequenzen ziehen muss. Ob man sich dabei auf biologische Rassen oder Kulturgruppen bezieht, macht keinen Unterschied.

Doch wenn es zur menschlichen Psyche gehört, die eigene mit fremden Lebensweisen in Relation zu setzen, zu vergleichen und zu bewerten, welche Alternativen zu Rassismus gibt es dann? Die naheliegende Antwort ist: Verschiedenheit nicht als Bedrohung zu sehen. Die eigene Lebensweise auch mal kritisch zu hinterfragen. Zu versuchen, andere zu verstehen und deren nützliche Vorstellungen oder Entwicklungen in die eigene Lebensrealität zu integrieren. Und vor allem: den individuellen Menschen als solchen wahrnehmen, mit seinen Stärken und Schwächen, aber nicht nur als Mitglied einer bestimmten Gruppe. Daraus kann ein nicht immer reibungsloses, aber befruchtendes Miteinander entstehen, das in der Geschichte immer wieder neue Ideen und Techniken hervorgebracht hat, die wir bis heute nutzen.

Weitere Literatur

Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 20052.

Wulf D. Hund: Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit, Münster 1999.

UNESCO-Deklaration gegen den „Rasse“-Begriff aus dem Jahr 1995: http://www.staff.uni-oldenburg.de/ulrich.kattmann/download/Res_deutsch.pdf

UNESCO-Erklärung über „Rassen“ und rassistische Vorurteile von 1978: http://www.unesco.de/infothek/dokumente/unesco-erklaerungen/erklaerung-rassist-vorurteile.html

  1. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18092/rassismus []
  2. Christian Geulen, Geschichte des Rassismus, 2014, München: Beck. []
  3. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung: Arier, Oktober 2013, http://www.politische-bildung-brandenburg.de/node/9695 [26.10.2016] []
  4. Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988. []
  5. T.S. Burns: Rome and the Barbarians, 100 B.C. – A.D. 400, Baltimore – London 2003. J.M. Hall: Hellenicity. Between Ethnicity and Culture, Chicago 2002. T. Harrison, T. (Hrg.): Greeks and Barbarians, Edinburgh 2002. Albrecht Dihle: Die Griechen und die Fremden, München 1994. []
  6. Manfred Kappeler: Rassismus. Über die Genese einer europäischen Bewusstseinsform, Frankfurt am Main 1994. []
  7. Christian Delacampagne: Die Geschichte des Rassismus, Düsseldorf 2005. []
  8. Luigi Cavalli-Sforza: The History and Geography of Human Genes, Princeton University Press 19962. []
  9. Ulrich Kattmann: Rassimus, Biologie und Rassenlehre, 14. September 2004, http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/rassismus-biologie-und-rassenlehre/ [26.10.2016] []