Wie viele Juden wurden im Holocaust ermordet?

By Team GeschichtsCheck, 11. Oktober 2016

Auf einen Blick

  • Im Holocaust wurden zwischen 5,5 und 6,3 Millionen jüdische Menschen ermordet
  • Die Zahl 6 Millionen wurde wohl zuerst von Adolf Eichmann verwendet
  • Eine genaue Zahl wird sich wegen der Quellenlage nicht ermitteln lassen

Im Bild

holocaustopfer

Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha Bundesarchiv B 285 Bild-04413, KZ Auschwitz, Einfahrt, Crop, Blur, Text von GeschichtsCheck, CC BY-SA 3.0 DE

Lesestoff

Eine oft verwendete Methode den Holocaust leugnender oder verharmlosender Personen ist es, die Zahl der jüdischen Todesopfer als unwahr darzustellen. Tatsächlich ist diese Zahl im Laufe der vergangenen 71 Jahre unterschiedlich hoch angegeben worden und auch heute nicht definitiv feststellbar, es gibt aber weitgehend akzeptierte Schätzungen.

Um dies zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, wie schwer solche Zahlen zu erheben sind. Aus über 20 europäischen Ländern wurden jüdische Menschen deportiert, in Konzentrationslager gebracht, dort zu oft tödlicher Arbeit gezwungen oder direkt ermordet. Viele wurden von Deutschen und ihren einheimischen Helfer*innen aber auch direkt an Ort und Stelle erschossen oder mit mobilen Gaswagen getötet. Darüber wurde nicht einmal von den bürokratisch hochorganisierten NS-Stellen genau Buch geführt. Gleichzeitig sind aus vielen dieser Länder auch keine einheitlichen Vorkriegsaufzeichnungen über die Zahl der dort lebenden Juden bekannt.

Heute wird die Zahl der im Holocaust ermordeten Juden meist mit ca. 6 Millionen angegeben. Sie wurde allerdings erstmals schon 1945 genannt, als der frühere Nachrichtendienstler und SS-Sturmbannführer Wilhelm Hoettl beim Nürnberger Prozess unter Eid aussagte. Er berichtete damals über eine Unterhaltung mit seinem Kollegen Adolf Eichmann im August 1944:

„Ich fragte ihn, wieviele das seien, worauf er antwortete, die Zahl sei zwar ein großes Reichsgeheimnis, doch würde er sie mir sagen, da ich auch als Historiker dafür Interesse haben müßte […]. Er habe kurze Zeit zuvor einen Bericht für Himmler gemacht, da dieser die genaue Zahl der getöteten Juden wissen wollte. Er sei auf Grund seiner Informationen dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: In den verschiedenen Vernichtungslagern seien etwa vier Millionen Juden getötet worden, während weitere zwei Millionen auf andere Weise den Tod fanden, wobei der Großteil davon durch die Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei während des Feldzuges gegen Rußland durch Erschießen getötet wurde.“1

Es gibt wenige Gründe, am Wahrheitsgehalt von Hoettls Aussage zu zweifeln. Er konnte sich mit diesen Angaben nicht entlasten, im Gegenteil gab er damit zu, fast ein Jahr vor Kriegsende genaue Kenntnis über den Völkermord gehabt zu haben. Gleichzeitig war Eichmann als zentraler Organisator der „Endlösung“ der wohl bestinformierte Ansprechpartner der Zeit zum Thema.

Die ersten Historiker, die sich genauer mit der Zahl der jüdischen Opfer befassten, setzten die Zahl etwas niedriger an: Gerald Reitlinger (4,2-4,7 Millionen Tote) und Raul Hilberg (5,1 Millionen Tote) griffen allerdings nahezu ausschließlich auf deutsche Aktenbestände zurück, es wurden weder jüdische Quellen noch Unterlagen der im Krieg besetzten europäischen Staaten zu Rate gezogen. Das erwies sich auch in der Folge als schwer, weil die maßgeblichen Archive in der Sowjetunion und anderen Staaten des Ostblocks verschlossen blieben. Nach der Öffnung dieser Bestände legte Wolfgang Benz mit „Dimension des Völkermords“ die bislang wohl präziseste Schätzung der Opferzahlen vor: In 17 Kapiteln untersuchten Historiker*innen für jedes Land einzeln alle Hinweise über die Zahl der Juden vor und nach dem Krieg, die Unterlagen deutscher Behörden und Einsatzgruppen und viel weiteres Material. Dabei kamen sie auf eine Spanne zwischen 5,29 und 6,3 Millionen2 , in der zweiten Auflage konnte dies auf 6,2 bis 6,3 Millionen Ermordete präzisiert werden. Die anderen beiden seriösen Schätzungen der Enzyklopädie des Holocaust (5,5-5,8 Millionen)3 und Dieter Pohls (5,6 Millionen)4 liegen jeweils darunter.5

Eine präzise Zahl wird sich niemals finden lassen, nur Annäherungen. Wer sie zwischen 5,5 und 6,3 Millionen verortet, liegt damit sicher nicht falsch und wird sich auch definitiv nicht der Holocaustleugnung nach § 130 StGB schuldig machen.

  1. Zitiert nach Wolfgang Benz: Die Dimension des Völkermords, München 1991, S. 1. []
  2. Wolfgang Benz: Die Dimension des Völkermords, München 1991, S. 15-17. []
  3. Yisrael Gutmann et al (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung der europäischen Juden, Bd. 2, Berlin 1993, S. 918. []
  4. Dieter Pohl: Dimensionen eines Menschheitsverbrechens. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden 1939-1945, in: Burkhard Asmuss (Hrsg.): Holocaust. Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung, Berlin 2002, S. 105. []
  5. Eine gute Übersicht der verschiedenen Schätzungen der hier angegebenen Forschungen gibt die entsprechende Tabelle in der Wikipedia. []